In Bayern angekommen

Copyright: BR / Ralf Wilschweski
Copyright: BR / Ralf Wilschweski

Man muss nicht in Bayern geboren sein, um ein wahrer Bayer zu sein, meinen wir vom Bayerischen Institut für Migration. Und das meint auch Professor Andreas Bönte vom Bayerischen Rundfunk, der unseren BIM TV-Talk am 27. Oktober moderiert. Was sonst noch einen Bayern ausmacht und was Deutschland von Israel lernen kann, erzählte Professor Bönte unserer Pressereferentin Galina Gostrer.

Herr Professor Bönte, zunächst einmal ist es uns eine große Ehre, dass Sie unseren TV-Talk moderieren. Wie gefällt Ihnen Ihre Rolle als Moderator?

Prof. Andreas Bönte: Sehr gut. Ich hoffe, dass es mir gelingt, die entscheidenden Fragen rauszuarbeiten. Mir ist es wichtig, die Gäste zur Sprache kommen zu lassen und eine Diskussion einzuleiten. So erfährt man Dinge, die man selbst noch nicht kennt, wo man noch was lernen kann.

 

Was glauben Sie, könnten Sie denn von unserem TV-Talk lernen?

Prof. Andreas Bönte: Mir war zum Beispiel nicht klar, dass bei Migration zwischen weiblicher und männlicher Sicht unterschieden wird. Das finde ich spannend.

 

Woher kommt Ihr Interesse an Migrationsthemen? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Prof. Andreas Bönte: Das Schlüsselerlebnis war wahrscheinlich meine langjährige Mitarbeiterin Özlem Sarikaya, mit der ich auch befreundet bin. Wir haben uns oft über dieses Thema unterhalten. Sie moderiert das Interkulturmagazin „Puzzle“, in dem es um ebendiese Entwicklung unserer Gesellschaft geht. Mich hat aber auch schon immer das Zusammenleben von verschiedenen Menschen interessiert. Unsere Gesellschaft wird immer bunter. Das ist schön, birgt aber auch großes Konfliktpotential. Ich finde es spannend zu sehen, was Migration mit einem Land macht. Ich bin oft in Israel. Schauen Sie sich dieses Land einmal an. In den letzten Jahrzehnten ist es Israel gelungen, viele Einwanderer aus der ganzen Welt - insbesondere aus Osteuropa - zu integrieren.

 

Ist es nicht schwierig Israel mit Deutschland zu vergleichen? Israel ist an sich bunt und sehr orientalisch, Deutschland dagegen viel geordneter.

Prof. Andreas Bönte: Das stimmt, beides hat aber Vor- und Nachteile. Deutschland ist zwar viel geordneter und strukturierter, was aber den Umgang mit den Gastarbeitern angeht, so hat Deutschland nicht wirklich strukturiert gearbeitet. Man hat sich zu wenig Gedanken über die neuen Mitbürger gemacht. In Israel bekommen währenddessen alle Einwanderer einen Sprachkurs und müssen nach drei Monaten Grundkenntnisse in Hebräisch vorweisen.

 

Das war bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen aus der UdSSR in den 90er Jahren auch so. Glauben Sie, dass man da schon dazugelernt hat oder wurde mit zweierlei Maß gemessen?

Prof. Andreas Bönte: Ich denke, man hat in der Zwischenzeit gelernt, dass viele Migranten kommen, um zu bleiben. Und Integration funktioniert nun mal über Sprache. In den letzten 10, 20 Jahren hat sich da viel getan. Jugendliche mit Migrationshintergrund haben mittlerweile sehr gute Chancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, allein aufgrund des demographischen Wandels musste umgedacht werden.

 

Aber ist das nicht selbstverständlich? Immerhin sind die Jugendlichen hier geboren, Deutsch ist ihre Muttersprache, es unterscheidet sie kaum etwas von ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund.

Prof. Andreas Bönte: Eigentlich schon. Aber es gibt immer wieder Vorbehalte und Ängste, die überhaupt nicht real begründet werden können. Sie kennen doch bestimmt diese Studie, wo absolut identische Bewerbungsunterlagen einmal von einem fiktiven Bewerber mit typisch deutschem Namen und einmal von einem ebenso fiktiven Bewerber mit typisch türkischem Namen verschickt wurden? Da hat man gesehen, der deutsche Bewerber hätte deutlich besser abgeschnitten. Es muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Vor allem auch, was akademische Berufe angeht. Mir wurde auch schon mal vorgeworfen, der BR würde zu wenig Migranten einstellen. Aber da muss ich sagen, es bewerben sich kaum Migranten. Das ist schade. Aber ich denke, bei vielen ausländischen Familien ist eine akademische Laufbahn gar nicht auf dem Schirm.

 

Bayern steht ja vor allem für Tradition. Verträgt sich das überhaupt mit Integration?

Prof. Andreas Bönte: Natürlich verträgt sich das. Migranten sind ja auch keine vorübergehende kurzfristige Erscheinung, sondern ein bleibender Teil unserer Gesellschaft. Aus vielen Kulturen wird eine Kultur. Das merkt man zum Beispiel daran, dass immer mehr Jugendliche ganz selbstverständlich bei der Freiwilligen Feuerwehr in ihrem Ort mitmischen. Und der beste Beweis dafür ist die Wies'n, da sieht man so viele junge Leute mit türkischen, arabischen, afrikanischen Wurzeln in bayerischer Tracht. Das finde ich wunderbar.

Aber die Veränderung einer Bevölkerung braucht einfach mehr Zeit. Es hat sich schon viel getan. In der Politik kann man mit dem Thema Migration keine Punkte mehr machen, weil mittlerweile jeder jemanden mit Migrationshintergrund kennt und sagt „Eigentlich sind sie doch ganz nett!“ Das liegt einfach in der Natur des Menschen zu unterscheiden und Fremden mit Vorsicht zu begegnen. Ich kenne das ja auch von meinen Israelreisen.

 

Wie haben Sie sich denn als Ausländer gefühlt? Ich kann mir auch vorstellen, dass Sie es als Deutscher in Israel nicht leicht hatten.

Prof. Andreas Bönte: Ich habe mich in einer ganz anderen Situation als Ausländer gefühlt. Ich bin mit fünf Jahren mit meinen Eltern aus Norddeutschland in die bayerische Provinz gezogen - Sie können sich nicht vorstellen, wie ich als „Preuße“ von den anderen Kindern verprügelt wurde.

Dagegen habe ich in Israel nie Probleme gehabt. Die Leute waren immer freundlich zu mir. Ich denke, die gemeinsame Geschichte ist eine gute Basis für die deutsch-jüdische Beziehung. Was viele nicht wissen ist, dass das Deutsche und das Osmanische Reich auch eine gemeinsame Geschichte haben. Im 1. Weltkrieg gab es zum Beispiel eine deutsch-osmanische Allianz, davon zeugen noch viele Bilder.

 

Das Bayerische Institut für Migration hat sich ja zum Ziel gesetzt, die neuere gemeinsame deutsch-türkisch-griechisch-italienische Geschichte in einem Museum der Migration abzubilden. Dafür haben wir uns das Jüdische Museum in München zum Vorbild genommen, ecken damit aber an. Wieso wird der jüdischen Geschichte dieser Raum zugesprochen und der Geschichte der Gastarbeiter verwehrt?

Prof. Andreas Bönte: Natürlich kann es sein, dass beim Jüdischen Museum das ein oder andere schlechte Gewissen mitgewirkt hat. Aber es kann auch daran liegen, dass diese Geschichte noch jung ist. Bei uns beginnt die Museumsreife ab 100 Jahren. Ich würde ein solches Museum durchaus befürworten, da gäbe es bestimmt spannende Sachen zu entdecken und man würde damit ein Zeichen setzen. Charlotte Knobloch hat damals über den Umzug der Jüdischen Gemeinde auf den St. Jakobsplatz diesen bewegenden Satz gesagt: „Wir sind angekommen“.

 

Glauben Sie, dass die ehemaligen Gastarbeiter und ihre Nachfolger auch von sich sagen können, dass sie angekommen sind?

Prof. Andreas Bönte: Ich glaube, sie sind noch nicht ganz angekommen. Das kann man natürlich nicht verallgemeinern. Aber der große Unterschied ist, dass die jüdischen Migranten, die die Israelitische Gemeinde in Deutschland wieder groß gemacht haben, in ihrer Heimat politischem und gesellschaftlichem Druck ausgesetzt waren – Sie hatten keine Heimat mehr. Bei den türkischen, griechischen, italienischen Migranten war es nur wirtschaftlicher Druck. Dadurch haben sie einen anderen, einen positiven Bezug zu ihrer Heimat.

 

Unser Vorstandsvorsitzender Zeki Genc beschreibt sich folgendermaßen: „Ich bin ein bibelfester Muslim und ein bekennender Bayer“. Können Sie das nachvollziehen? Kann man zwei Heimat-en haben?

Prof. Andreas Bönte: Natürlich. Muslim steht ja nur für die Religionszugehörigkeit. Für die griechisch-orthodoxe Gemeinde in München ist es auch selbstverständlich, bayerisch zu sein. Und wie gesagt, ich bin auch nicht in Bayern geboren. Es gibt aber selbst heute noch Menschen, die behaupten, ein richtiger Bayer muss auch in Bayern geboren sein.

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